Tierversuche in Kosmetika
Als ich vor kurzem mein Marken-Glossar für diese Homepage erstellt habe, habe ich mir zwangsläufig Gedanken zu den Informationen über die einzelnen Marken gemacht, die für Euch interessant sind. Ein für viele ganz wichtiger Punkt ist natürlich die Frage, ob die Produkte des jeweiligen Unternehmens an Tieren getestet werden oder nicht. Und da ploppte in mir gleich die Frage auf, was die Bezeichnung „tierversuchsfrei“ eigentlich bedeutet. Mit meinem gefährlichen Halbwissen war mir bewusst, dass in Deutschland keine Kosmetika verkauft werden dürfen, die an Tieren getestet wurden. Zugleich aber hatte ich im Hinterkopf, dass Tierversuche für Kosmetika vor allem in China gesetzlich vorgeschrieben sind. Da das aber eben alles tatsächlich nur gefährliches Halbwissen ist, habe ich mich einmal etwas genauer mit diesem tatsächlich ziemlich spannenden, aber auch sehr komplexen Thema beschäftigt und die wichtigsten Punkte zu Papier gebracht.
Rechtslage in Deutschland
Deutschland hat zunächst zwischen Tierversuchen zur Entwicklung von Kosmetik und dem Testen von fertigen Kosmetika an Tieren differenziert. Bereits im Jahr 1986 wurden in Deutschland durch das Tierschutzgesetz Tierversuche für die Entwicklung dekorativer Kosmetik verboten. Im Jahr 1998 folgte auch ein Verbot für Tierversuche in der Entwicklung pflegender Kosmetika. Seit 2004 dürfen auch die „fertigen“ Kosmetika nicht mehr an Tieren getestet werden.
Tierversuche, die mit den einzelnen Bestandteilen der Kosmetika durchgeführt wurden, waren damit von dem Verbot noch nicht erfasst. Im Jahr 2009 wurde das Verbot daher schließlich auch auf die Inhaltsstoffe der Kosmetika und deren Kombination ausgeweitet. Zudem dürfen Produkte nicht mehr in der EU verkauft werden, die außerhalb der EU in Tierversuchen geprüft wurden. Bestimmte Tierversuche für Inhaltsstoffe bei aus Drittländern (Nicht-EU-Ländern) importierten Kosmetika wurden verboten.
Seit 2013 dürfen in Tierversuchen getestete Kosmetika bzw. Kosmetika, deren Inhaltsstoffe in Tierversuchen getestet wurden, in der EU weder verkauft noch importiert werden.
Im Jahr 2016 schließlich wurde EU-weit festgelegt, dass für die Zulassung von kosmetischen Produkten in der EU keine Daten verwendet werden dürfen, die aus außerhalb der EU durchgeführten Tierversuchen stammen. So soll verhindert werden, dass Tierversuche in Drittländer ausgelagert werden.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Zunächst liest sich die Rechtslage in Deutschland bzw. in der EU ja tatsächlich ganz gut. Man möchte meinen, dass wir nun keine kosmetischen Produkte mehr im Handel haben, die in irgendeiner Form an Tieren getestet wurden. Doch weit gefehlt.
Zum einen gelten die Verbote nur für neue Produkte und Inhaltsstoffe. Die „alten“, die vor der gesetzlichen Regelung auf den Markt gebracht wurden, dürfen auch weiter uneingeschränkt verkauft werden.
Zum anderen beziehen sich die Verbote nur auf Inhaltsstoffe, die ausschließlich für kosmetische Zwecke verwendet werden. In der Kosmetikindustrie kommen aber auch häufig Inhaltsstoffe zum Einsatz, die auch in anderen Produkten wie Arzneimitteln oder Reinigungsmitteln vorkommen, die beispielsweise unter das Arzneimittelgesetz oder unter das Chemikaliengesetz fallen. Die sog. REACH-Verordnung schreibt Tierversuche für eine Zulassung dieser Stoffe häufig sogar vor, erlauben sie aber jedenfalls. Auch Stoffe, die ausschließlich in Kosmetika verwendet werden, müssen nach dieser Verordnung an Tieren getestet werden, wenn sich das Risiko für die Arbeiter, die diese Stoffe herstellen, und für die Umwelt nicht anders einschätzen lässt. Um das Ausmaß einmal zu verdeutlichen: Etwa 90 % der in der Kosmetik verwendeten Stoffe fallen unter das Arzneimittel- oder unter das Chemikaliengesetz.
Und schließlich muss man sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 21.09.2016 (Az.: C-592/14) auf der Zunge zergehen lassen: Die in Drittstaaten durchgeführten Tierversuche dürfen nicht verwendet werden, um bei der EU-Zulassung die Sicherheit der Mittel nachzuweisen. Unsere Verbote stellen also nicht sicher, dass die Produkte nicht im Ausland an Tieren getestet wurden. Sie stellen lediglich sicher, dass keine Tierversuche zum Nachweis der Sicherheit der Produkte gemacht wurden.
Und damit ist in meinen Augen das Verbot von Tierversuchen in Kosmetika in der EU tendenziell schon beinahe ausgehebelt.
Rechtslage in China
Bis 2021 war die Rechtfertigung vieler Unternehmen dafür, dass sie Tierversuche durchführen, dass ihre Produkte auf dem chinesischen Markt vertreten und sie daher gezwungen seien, Tierversuche durchzuführen.
Seit dem 01.05.2021 ermöglicht China es Kosmetikfirmen jedoch, Tierversuche für importierte „allgemeine Kosmetika“ („Non-Special-Use“) zu umgehen, indem die Firmen Ausnahmegenehmigungen bezüglich der vorgeschriebenen Tierversuche beantragen. Möglich ist das beispielsweise für Produkte wie Shampoos, Bodylotions, Make-Up und Duschgel.
Auch können Tierversuche für viele Produkte umgangen werden, wenn diese nicht importiert, sondern in China produziert werden.
Unternehmen, die sog. „special cosmetics“ wie Haarfarben, Sonnencremes, Dauerwellenprodukte o.ä. herstellen, müssen jedoch weiterhin Tierversuche durchführen.
China ist damit nun einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen, auch wenn hier noch vieles mehr notwendig ist.
Was bedeutet denn nun „tierversuchsfrei“ bzw. „cruelty-free“?
„Cruelty-free“ wird gerne synonym für „tierversuchsfrei“ verwendet, was allerdings im Grunde falsch ist. Es gibt durchaus Produkte, die zwar tierversuchsfrei sind, aber dennoch Bestandteile tierischen Ursprungs haben, was in den meisten Fällen wohl nicht besonders viel mit „cruelty-free“ zu tun haben dürfte.
In Deutschland dürfen keine Produkte mehr (neu) in den Handel kommen, deren Inhaltsstoffe an Tieren getestet wurden oder die sogar selbst an Tieren getestet wurden. So weit, so eindeutig. Allein das macht die Produkte eines Unternehmens aber nicht komplett tierversuchsfrei, denn die Einschränkungen gelten ja nicht für Produkte, die laut der REACH Verordnung an Tieren getestet werden müssen.
Wie sieht es also aus, wenn das Produkt Stoffe enthält, die unter das Arzneimittelgesetz fallen und damit an Tieren getestet wurden – darf sich ein Unternehmen dann immer noch tierversuchsfrei nennen, weil es ja nur die in Deutschland geltenden Regeln befolgt …?
Der Begriff „tierversuchsfrei“ ist gesetzlich nicht konkret definiert. Wie eng oder weit ein Unternehmen den Begriff also fasst, kann man als Verbraucher schlicht nicht erkennen. Darüber hinaus verschleiern Unternehmen durch schwammige Aussagen, ob in ihren Produkten an Tieren getestete Inhaltsstoffe enthalten sind, beispielsweise durch Aussagen wie
„Wir bei Kiehl’s setzen uns für den Tierschutz ein und testen nicht an Tieren.“
Kiehl’s
Das ist schön für Kiehl’s, sagt aber nichts darüber aus, ob ihre Produkte nicht Inhaltsstoffe enthalten, die von anderen Unternehmen möglicherweise sogar im Auftrag von Kiehl’s an Tieren getestet wurden.
Kurz: Wir können uns nie ganz sicher sein, ob die Produkte eines Unternehmens und deren Bestandteile wirklich nicht an Tieren getestet wurden.
Kosmetik-Siegel zum Thema „tierversuchsfrei“
Um sich im Kosmetik-Dschungel hinsichtlich der Frage, ob ein Unternehmen Tierversuche durchführt, etwas orientieren zu können, kann man sich an verschiedenen Siegeln orientieren. Hier differenzieren die Anforderungen zur Erlangung des Siegels an die Marken allerdings.
Eines der bekanntesten Siegel dürfte von PeTA stammen, das PeTA approved Siegel bzw. das PeTA approved vegan Siegel.
Hilfreich ist zudem die Liste versuchsfreier Produkte von PeTA. In diese Liste nimmt PeTA ausschließlich Unternehmen auf, die wirklich keinerlei Tierversuche dulden – auch nicht solche, die im Rahmen der REACH-Verordnung gefordert werden. Die dort gelisteten Unternehmen führen keine Tierversuche durch, geben diese nicht auf Auftrag und nehmen keine Tierversuche in Kauf. Diese Anforderungen werden auch an die Hersteller und Lieferanten der Unternehmen gestellt. Nur diese Unternehmen sind nach PeTA-Standards tierversuchsfrei. Allerdings: In der Vergangenheit durchgeführte und nicht mehr rückgängig zu machende Tierversuche sind hier nicht einbezogen.
Möchte ein Unternehmen auf der „PeTA-Approved“-Liste landen, muss es einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Zudem muss es eine Zusicherungserklärung unterschreiben, dass das Unternehmen weder selbst Tierversuche durchführt noch sie in Auftrag gibt oder dafür bezahlt. Und das betrifft nicht nur Versuche für das fertige Produkt, sondern auch für Inhaltsstoffe und Rezepturen. Das Unternehmen bestätigt mit dieser Erklärung außerdem, dass dies auch für die Zukunft gilt.
Damit hat man vielleicht keine 100 %ige Sicherheit dafür, dass die Unternehmen auf der Liste wirklich den Standards von PeTA entsprechen. Allerdings steht die Reputation des Unternehmens auf dem Spiel, sollte sich einmal herausstellen, dass es für die Aufnahme in die Liste falsche Angaben gemacht hat. Das könnte möglicherweise sogar der Ruin für das Unternehmen sein.
Ein ähnliches Siegel ist „Leaping Bunny“, das einen springenden Hasen als Symbol hat. Teil dieses internationalen Netzwerks sind auch der Deutsche Tierschutzbund ind die österreichische Organisation Vier Pfoten. Bei diesem Siegel handelt es sich um das einzige international anerkannte Siegel, das tierversuchsfreie Produkte zertifiziert. Das Siegel wird ausschließlich an Unternehmen vergeben, die komplett auf Tierversuche, auch im Ausland, verzichten. Dies gilt sowohl für das fertige Produkt als auch für deren Inhaltsstoffe. Auch Mutter- oder Tochterunternehmen dürfen keine Tierversuche vornehmen. Das Siegel Leaping Bunny zählt zu den strengsten Labeln für tierversuchsfreie Kosmetik.
Eine sehr übersichtliche Darstellung der wichtigsten Siegel als PDF Datei, die Du Dir auch downloaden kannst, findest Du hier.
Übrigens: Bewirbt ein Unternehmen seine Produkte mit „tierversuchsfrei“ oder „ohne Tierversuche“, muss es mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Denn: Das ist immerhin eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten, da Tierversuche für Kosmetika und deren Inhaltsstoffe gesetzlich verboten ist. Damit ist das nach Ansicht der Behörden unlautere Werbung. Deshalb gibt es beispielsweise das PETA-Siegel „cruelty-free“ nicht mehr; es musste umbenannt werden in „PETA Approved Global Animal Test Policy“. Ich würde sagen, das ist an Absurdität kaum noch zu übertreffen.
Fazit
Das Thema „tierversuchsfrei“ ist ein unfassbar komplexes Feld. Die Aussagen der Unternehmen muss man schon ganz genau lesen und interpretieren. Im Internet finden sich inzwischen zahlreiche Listen, die tierversuchsfreie Marken aufzählen. Die Liste von PETA ist sicherlich eine der bekanntesten. Da der Begriff „tierversuchsfrei“ gesetzlich nicht definiert ist, sind sämtliche im Internet vorhandenen Listen mit Vorsicht zu genießen. Hier muss man zunächst einmal herausfinden, wie der Seitenbetreiber diesen Begriff für sich überhaupt definiert.
Die Liste von PETA ist tatsächlich die Liste, mit der ich gerne arbeite. Die Voraussetzungen, die die Marken bzw. Unternehmen erfüllen müssen, um von PETA entsprechend zertifiziert zu werden, finde ich gut. Denn tatsächlich ist es utopisch, von Unternehmen zu verlangen, keine Inhaltsstoffe zu verwenden, die noch niemals in Tierversuchen getestet wurden – immerhin gab es eine Zeit, in der das vollumfänglich absolut legal war und die Menschen schlicht noch kaum ein Bewusstsein für die Problematik hatten. Beeinflussen können wir (und die Unternehmen) nur das JETZT. Und jedes Tier, das nicht für unsere Konsumgesellschaft gequält wird, ist ein kleiner Sieg.